Grosse Ferien

Ich sitze auf der Werneck-Wiese in der Sonne und warte.
Ein paar Meter weiter spielen die Jungs aus Ghana auf Bongos. Bei unseren Mädels drüben kreist ein Joint. Ich warte.

“Der ist nicht blind.” sagt Troll. Ich lasse den Blick über das Panorama schweifen. Das Armeemuseum, alter Peter, neues Rathaus, Frauenkirche, Theatinerkirche, Ludwigkirche, weiter rechts der schwarze Klotz vom Hertie in Schwabing.

“Der ist blind.” wiederhole ich. “Schau mir mal in die Augen.” Ich schaue in Trolls lustiges Gesicht mit dem zahnlosen Lächeln eingerahmt von strähnigen, langen, schwarzen Haaren. “Siehst Du meine Pupillen?” Ich versuche zu fokussieren. Im hellen Gegenlicht sehe ich garnix. Sie sind groß, klein, nein doch eher geweitet.

“Denk bloss nicht ans Nachlegen der fährt schon. Das ist ein gelber Micro.” Irgendwie hat mich die Grasnarbe gekitzelt. Als Troll anfängt auf seiner Mundharmonika zu blasen kippt die Welt über die Klippe.

Zwei Dekaden später hilft mir Troll beim Hinsetzen. “Blind, hä? Bleib erstmal so sitzen. Geht’s wieder? Die sind ganzschön heftig. Jetzt mach erstmal ruhig. Spürst Du Deinen Atem? Ach, schau mal Deine Hände an…” Troll spielt weiter Mundharmonika zu den Afrobeats von gegenüber und ich schaue meine Hände an. Stunden vergehen.

Assi kommt von den Mädls rüber. “Janietz, wir gehen mit Mick in die Königinstrasse chillen. Kommst Du mit?” Ich schaue sie an. Sie trägt die runde Lennonbrille, um Ihren Hals hängt eine Inka-Holzschnitzerei vom Tollwood. Mit Ihren dicken kastanienbraunen Haaren, Ihrer Stupsnase und den vollen Lippen wirkt sie fast afrikanisch. Oder ist das das LSD? Wir haben alle grade voll die Hippie-Phase. Hippie-Punk-Anti-Golfkrieg-Demo-Mischmaschphase. Wir rennen mit Palis rum und braunen Lederjacken mit PeaceButtons und die Mädls haben Zeug in die Haare geflochten und kleine Glöckchen an den Docs. Jetzt grade ist Assi Barfuss und sitzt bekifft vor mir in der Wiese. Sie ist wunderschön.

“Logo” stammel ich und meine Stimme fühlt sich an wie geliehen. Ich stehe bedächtig auf. Assi schaut mich an. “Alles klar?” “Äh, weiss nicht.” Ich nehm irgendeine Flasche aus der Wiese weil ich was zum Festhalten brauche. “Ey, Du Penner. Das war die Erdbong.” Keine Ahnung wer da redet. Ich spucke aus. Schweiss an den Händen und Fluchtgedanken. Assi wirkt halb genervt und besorgt. Sie buchsiert mich zu den anderen. Hier sitzt Mücke mit Mick, die Sonnenschein, der Kotschi, der Nick und der Moosach-Basti. Wir nennen uns nach den Vierteln. Wir sind die Truderinger. Obwohl Sonnenschein, Assi und ich aus Bogenhausen kommen. Aber wir geh’n auf’s Michi und das bedeutet: Truderinger.

Der Jesus sitzt auch dabei. Er ist viel älter als wir, sicher schon Mitte dreissig. Die Story geht so: Er hat mal in der Werbung gearbeitet und als ihn das alles angekotzt hat, hat er beschlossen sich die Haare wachsen zu lassen mit einem weissen Jesus Gewand rumzulaufen und allen zu erzählen wie schön das Leben ist.

Er ist so eine Art Idol und abschreckendes Beispiel in einem. Ich mag ihn nicht. Er hat der Sonnenschein mal ein Gedicht geschrieben und das fand sie total tiefgründig. Ich wette das gleiche Gedicht schreibt er jeder.

Der Pulk steht geschlossen auf und setzt sich als wandelnde Zivibullen-Zielscheibe in Bewegung Richtung Eisbachbrücke.

Am Eisbach machen wir halt. Die Sonnenschein hat wen getroffen den sie kennt. Sie labern ob er mitkommt. Ich vertreibe mir die Zeit und schau in den Eisbach. Tausende kleine Inkamännchen halten sich an den Händen und Füssen und sausen den Bach hinab. Wie schön. Ein Blick nach oben bestätigt mir, dass mein Hirn das Thema aufnimmt. Der komplette Himmel ist mit rhythmisch atmenden Indiandergöttern verziert die sich bis zum Horizont über das Firmament spannen.

Die “Königinstrasse” ist unsere Villa Kunterbunt. Direkt am E-Garten ein leerstehendes Haus. Keine Ahnung wer es entdeckt hat aber wir pennen da öfter und einige der Krasseren leben da sogar und haben Möbel reingeschleppt, die Wände bemalt und es sich “wohnlich” gemacht, was im Wesentlichen bedeutet das viktorianische Gebäude zum Sanierungsfall runterzureiten. Uns ist es egal. Es ist einfach viel ZU geil. Wir checken ein, die Tür ist wie immer nur angelehnt und wir stehen im großen Foyer. Die riesige Freitreppe der Gründerzeitvilla führt uns nach oben. Hier läuft in einem Zimmer laute Musik von den Toydolls. Niemand da. Jemand kommt aus dem Scheisshaus. “Die sind alle auf dem Dach.” Ich nehme einen Schluck aus Sonnenscheins Rotweinflasche und bemerke missmutig dass der Brückenheini den Arm um sie gelegt hat.

Durch die Dachluke klettern wir auf das flache Blechdach das die Sonne auf Herdplattentemperatur aufgeheizt hat. Hier sitzen alle um einen Aschenbecher rum und trinken Wein. Cool, Roschni ist da. Vielleicht ist sie auch drauf. Ich versuche mich neben ihr zu platzieren und fange an mit Ihr zu reden. Wie lustig, auf Ihrem Kapuzenpulli sind lauter kleine Pilze. Sie gibt mir einen Kaugummi. Sie ist so fürsorglich, ich hätte fast meinen Kiefer zermalmt wegen der Drogen. “Janietz, kannst Du mal aufhören mir auf die Titten zu glotzen?” - “Nene, das hab ich garnicht. Ich hab die bunten Pilze angeschaut” Gelächter in der Runde. Aber es war ernst gemeint. Egal. Wir haben uns alle lieb. Ich legen meinen Kopf in Ihren Schoß und schliesse die Augen.

So liegen wir auf dem Dach und trinken die Rotweinvorräte leer. Ich werde nicht besoffen. Das Acid hält mich über Wasser. Irgendwann fange ich an mit Nadja Reversi zu spielen. Der Trip geht in die logische Phase und mein Gehirn nimmt sich dankbar die Struktur des Spiels. Langsam vesinkt die Sonne hinter den Dächern Schwabings.

Als wir nichts mehr sehen beschliessen wir noch in die Schwasi zu gehen…

Im Lärm der Barrackenkneipe beobachte ich beim Runterkommen die Szenerie. Es ist zu laut um zu reden. Ich trinke mein siebzehntes Bier. Alle knutschen rum. Ich denke, wenn ich neben Mick noch eine Mücke setze dann wird Mick auch zur Mücke.