Heimatabend

“Es ist 1996, meine Freundin ist weg und bräunt sich in der Südsee…”. Gertschi legt auf. Es ist natürlich nicht 1996. Dann wäre die Heimat ja bereits renoviert und es gäbe die neuen Wischtechnikwände anstatt der treugelben Nikotinfarbe und der mit Bettlaken abgehängten Decke. Und den neuen Boden - mit der Matchboxspielstrasse drauf. Auf jeden Fall habe ich keine Freundin. Soviel ist sicher.

Ich stecke den Löffel in mein Chili das vor mir steht und hoffe, dass diese Investition den Abend noch ein wenig verlängert. Es ist Dienstag, halb zwölf und langsam geht mein Budget zu Ende. Bierpreistag hin oder her. 2 Mack Fuffzig oder sind’s drei? Oder waren es mit Trinkgeld immer schon drei Mark oder kann ich nen Deckel machen? Oder Rami leiht mir was? Rami? Was redet er denn da?

Er erzählt wie er mit Frank Zappa telefoniert hat. Es ist ohrenbetäubend laut und für einen kurzen Moment beneide ich die Fische im vergiftgrünten Aquarium auf dem Fensterbrett um die schützende Hülle aus Wasser die den Lärm dämpft.

Frank Zapper…achso, haha. Sehr witzig. Und was hat er gesagt? “Ich habe ihn gefragt wie es der Hexe geht.” Schon wieder ein Insider. “Ship arriving too late to save a drowning witch.” Das hat der arme Mann bei Ramis Telefonstreich auf dem Weg in die “Neue Heimat” sicher nicht kapiert. Ich ja auch grade erst als ich den letzten Rest vom Chili aus dem weissen Schälchen mit den Löwengriffen löffele. Jetzt noch ein Pöttmes, welches war meins? Mist. Leer. Ich blicke mich suchend um…

Die alten Krauderer am Nebentisch sind auch schon recht durch. Der Aschenbecher quillt über und das komische Bild mit dem schreienden Typen mit den Gabeln in den Augen schaut ihnen beim Karteln zu. Ich warte ob Annemarie kommt. Sie steht am Tisch bei der Tür und diskutiert. Da sitzt Mirko mit so Leuten. Das kann dauern. Hinten beim Dart ist die Kirchermayr und die große Nadja. Die kleine Nadja seh ich nicht. Wohnt sie eigentlich noch in München?

Die Tür geht auf und der Ried kommt rein und versucht seine selbstgezeichneten Rüsselschwein-Comics zu verkaufen. Ich bin fast so besoffen um ihm ein Exemplar abzukaufen, kann jetzt aber mit Sicherheit sagen, dass ich absolut pleite bin. Die Lage verschärft sich, mein Durst auch. Kippe.

Sascha sagt: “Russrechte” und steht auf in Richtung Klo. Gegenteilswitze. Wenigstens besser als die Walwitze von letzter Woche. “Walhelfer”, “Walkampf” usw. Am Nebentisch fällt der Jengaturm um und Annemarie brüllt: “Pass auf Mücke! Deckel drunter sonst darfst Du’s aufwischen…!”

Ich beginne die Unterhaltung mit Hannes und Patermann da fortzusetzen wo ich glaube sie vor dem Chili liegengelassen zu haben. Es ging um seine Schlosserlehre an der Kreppe, den Mucksen und Steffens Job bei Archicad dann ging es um die Katha und ich schwor mir, dass ich mit der nie was haben werde wenn auch nur die Hälfte wahr ist was Steffen da erzählt. Mülli krault Hannes die langen blonden Haare und nimmt Berd den Kiba aus der Hand den er bringt. Hannes dreht. Die Hälfte krümelt auf sein Halloween T-Shirt die andere in Müllis Kiba. Ich habe keine Freundin.

Jetzt läuft Skunk Anansie. Besser. Vielleicht hat Ratko den DJ übernommen oder der Josef. Wieso ich wieder was zu trinken habe wird mir klar als der Flotschi mich mit seiner riesigen Pranke an der Schulter packt. “Janietz, Du hast wohl den Arsch auf? Das ist mein Bier.” Hm, wenn er hier rumlungert dann steht er heute wenigstens nicht im Lib an der Tür, was bedeutet, dass ich eine Chance haben könnte reinzukommen wenn ich noch ein IN finde aus dem der Liberty-Gutschein nicht bereits rausgerissen wurde. Flotschis Glatze glänzt unter dem roten Spot und die selbstgezimmerten weissen Boxen verteilen den nächsten Track im Raum. Ich glaube es ist “Construction Time again”. Mit Hannes, Mülli und Steffen werde ich nicht meine Finanzen aufbessern können. Wenn Stefan, der Wirt da wäre könnte ich sicher anschreiben. Aber der arbeitet heute im “Wirtschaftswunder” und das ist in Giesing. Eine Weltreise… Der Schöbel erzählt mir, dass er keine Freundin hat.

Ich stelle mich hin und schaue ob der Mario da ist. Jup, in der Ecke sitzt er und redet mit dem Wasserwerk-Josef. Als ich ankomme freut sich Mario offenbar. “Maaarcus”. Er hat an mir einen Narren gefressen. Nicht weil ich so ein eloquenter Gesprächspartner wäre sondern weil ich ihm glaubhaft vermitteln konnte nicht restlos hetero zu sein. Ich setze mich dazu und Josef verdreht die Augen. Er durchschaut mein plumpes Spiel und Mario natürlich auch. Aber das Bier macht ihn verwundbar und er bestellt für uns zu Dritt eine Turbomass. Dann lasse ich mich eben abfüllen. Hauptsache nicht nach hause.

Bernd gibt Mario zu verstehen, dass er dafür gerade zu stehen hat wenn ich in die Kneipe kotze und beginnt Captain Morgan, Multisaft, O-Saft und Vodka in einen Masskrug zu kippen. Ich blättere im IN das auf dem Tisch liegt unter einem Berg Papers. Hier wurde “Wer bin ich gespielt”, Schirin hat den Zettel noch auf Ihrer Stirn kleben: “Kelly Bundy”. Der Liberty Gutschein ist rausgerissen. Ich studiere stattdessen mit Mario die erotischen Kontaktanzeigen.

Die Turbomass wirkt. Aber nicht wie Mario es sich gewünscht hatte. Ich entdecke ganz neue Seiten an Annemarie und während ich überlege wie ich mich besonders dezent bei Ihr ins rechte Licht rücken könnte wird mir langsam klar warum sie so nah bei mir sitzt. “Janietz!! Kriegst Du noch was weil sonst ZAHLEN.” Ne, so nicht. Zahlen ohne Geld geht ja garnicht. Also bestelle ich noch ein Helles. Das verschafft mir Zeit und entspannt die Lage für den Moment. Ich fühle mich sehr schlau.

Die Reihen lichten sich langsam. Morgen ist Schule und ein Teil bricht auf in Richtung Liberty oder Backstage. Ich bin unsicher ob Jenny heute im Backstage arbeitet und denke ich schaffe es sowieso nie im Leben mehr bis zur Donnersberger Brücke. So wie es für mich aussieht wird das ein schlimmes Ende im Joca, Kitaro oder Sto-Micro nehmen. Irgendwer behauptet er hätte Schulden bei mir. Ich pflichte euphorisch bei. Der Eichenseer drückt mir nen Zwanzger in die Hand. Alle meine Probleme sind gelöst.

Zur Feier des Tages bestelle ich gleich für den Tisch also Bruno, Erik, Basti, Tolga, die Heiders und den Gruber Peter und mich eine Flasche Erbeer-Limes, die ist heute im Angebot, nur 20 Mark.