In die Dunkelheit

Wir sitzen bei Anke und Wolfi auf dem Bett und spielen Sonic the Hedgehog. So geht das schon seit heute morgen. Ich hab’s gestern nach der Heimat nicht nach Hause geschafft und bei der Anke auf der Couch gepennt. Die kleine Nadja ist da, die große Nadja ist da und der Schöbel. Der Schmutz an den Fenstern hält den Lärm der Rosenheimerstrasse ab. Ich trinke den vierten Kaffee und ein warmes Konterbier.

Eigentlich will ich mit der großen Nadja rummachen. Sie war mein zweiter Kuss und obwohl wir sonst nicht viel miteinander rumhängen haben wir da so ein Ding. Ich mag Ihre Zahnspange. Aber mit jeder Bong-Runde schwindet meine Hoffnung dass ich sie heute noch nochmal aus dieser WG rausbekomme. Der Rauch in der Wohnung ist zum Schneiden.

Ich kiffe nicht. Kiffen macht mich nervös und dann müde. Und gerade macht es mich zum Aussenseiter. Die anderen sitzen den Teppich löchrig. Ich hab Hummeln im Hintern.

Irgendwie will ich mich auch mal wieder duschen. Als noch Hunger dazukommt ziehe ich den Stöpsel. “Also, ich pack’s dann…”

Ich stehe auf und suche meine Jeans-Jacke. Die anderen nicken und murmeln irgendwas. Ich rattere das Treppenhaus runter und stehe kurz darauf auf der Strasse im Nieselregen.

Oben steckt die kleine Nadja den Kopf aus dem Fenster: “Janietz, Deine Kippen!” Sie wirft mir mein Packerl grüne JPS runter. Von den sechs verbliebenen Kippen sind drei gebrochen und zwei plattgedrückt. Scheiss Softpacks. Ich stecke mir die letzte Gute in den Mund und knippse sie an.

“Dann bis später im HB-Keller.” Ihr Kopf mit den lila Dreadlocks verschwindet wieder im verrauchten Zimmer.

Ja, da war was. Heute wollten wir unseren neuen Spielplatz auschecken. In der Inneren Wiener Strasse wurde neulich die ausgebrannte Brauerei abgetragen und ein Fuchs hat den Zugang zu den unterirdischen Bierkellern gefunden. Die ersten Berichte sprachen von zwei Etagen Untergeschoss. Niemand weiss wie tief und verzweigt es da noch ist. Und heute abend steigen wir ein.

Mein Kater ist wie verflogen und federnden Schrittes mache ich mich auf den Weg nachhause.

Den Nachmittag verbringe ich damit die Moosacher einzuladen. Niemand weiss mehr wie es dazu kam, aber am anderen Ende der Galaxis gibt es intelligentes Leben in Form eines Freundeskreises der genauso durhgeknallt ist wie wir. Irgendein Pionier hat damals den Kontakt hergestellt und seitdem hängen die Truderinger und die Moosacher quantenverschränkt miteinander rum. Sie gründen zusammen Bands die an beiden Gymnasien auftreten, sie fahren mit der letzten 19er schlafend von einem Ende der Stadt zum anderen, bilden Pärchen und machen sich unglücklich dann gehen sie vom Trambahn Depot nachhause. Es ist eine riesen Gaudi.

Und sie treffen sich in Ihren jeweiligen Stamm-Kneipen zum Saufen. Bei den Moosachern sind das das Vollmond oder die Bierstube im Olycenter. Bei uns ist das die “Heimat” und…naja, eigentlich nur die “Heimat”.

Aber unsere Feste!

Ich hab Mirko, Basti, Nick und so Bescheid gesagt. Sie haben versprochen auch Dani und Brigitte zu fragen. Ich gehe davon aus, dass sie sowieso nicht kommen, aber die Aussicht darauf überzeugt Bruno mitzukommen obwohl er eigentlich heute abend zuhause bleiben und Stochastik lernen wollte.

Gegen halb acht steigen wir am Treffpunkt hinter dem HB-Biergarten über den Zaun. Wir sind ein kleiner Pulk von vielleicht sechs oder sieben Freunden. Unseren Anführer kenn ich nicht.
Die Kerzen und Taschenlampen können wir erst anmachen wenn wir drin sind, weil sonst würde man uns entdecken. Wir klettern durch eine Brandschutztür nach unten. Ich trage zusammen mit Bruno unseren Kasten Augustiner die enge Treppe hinunter. Ich tappel einfach den anderen hinterher. Mit den Kerzen und Taschenlampen erkunden wir das Reich der Tiefe. Überall sind Schäden des Brandes zu erkennen. Es riecht modrig. In den Ecken stehen alte Gerätschaften die man bestimmt zum Bierbrauen braucht, teilweise sind sie noch gut intakt, manche ragen hoch ins Gewölbe auf, alles ist vollgeschmiert. In den Ecken vermute ich menschliche Exkremente.

Irgendwann hören wir Stimmen in der Ferne. Wir bleiben stehen. Entwarnung. Es ist nur eine andere Party. Die Deppen haben Feuer gemacht. Die Räume sind zwar hoch, aber meine Lust an einer Kohlenmonoxidvergiftung zu sterben hält sich dennoch in Grenzen. Wir sneaken weiter.

Dann finden wir unsere Leute. Sie haben es sich an einem Gangende bequem gemacht. Am Boden steht ein Ghettoblaster neben zahlreichen Grabkerzen. Hannes und Mülli sowie ein paar ältere Leute die ich nur um drei Ecken kenne sitzen schon da. Wir werden freudig begrüßt. Wir bringen das Bier.

Im Schein der Kerzen spielen der Schöbel und ich Schach. Ich habe nicht den Hauch einer Chance.
Später knutsche ich mit einem Mädl rum das ich entdeckt habe als ich um die Ecke einen Platz zum Pissen gesucht habe. Leider küsst Sie wie ein Fisch.

Aufregung! Jemand ist in ein Loch gefallen. Alle rennen durcheinander. Sobald man den Schein der Kerzen verlässt sieht man absolut garnichts mehr. Niemand weiss etwas Genaues. Man leuchtet mit den Taschenlampen umher und blendet sich gegenseitig. Dann sehe ich zwei Jungs den Schöbel stützen. Er erzählt wie er in ein Loch gefallen und ein Stockwerk tiefer aufgeschlagen ist. Sein Fuss ist im Arsch. Die Party ist für ihn auf jeden Fall vorbei. Wir schleppen ihn nach oben.

Der Fritschi bleibt bei ihm und bringt ihn in die Notaufnahme vom Rechts-der-Isar. Wir könnten da bald Rabbattpunkte sammeln. Ich bläue ihm noch ein, dass er ja die Fresse halten soll wie das passiert ist. Auf dem Weg nach unten laufe ich den Moosacherinnen über den Weg. Sie irren in den Kellern rum und suchen unsere Party. Wir fallen uns in die Arme und ich buchsiere sie durch die Finsternis bis zu unserem Fest. Dani und ich halten Händchen.

Wenn alles gutgeht brauch ich bald ein paar Ringe mehr auf meiner MVV-Karte. Die Gärtnerei Ihrer Eltern liegt noch weit hinter der Endstation der 19er. Freut sich eine Gärnterstochter eigentlich über Blumen?