Instant-Kaffee

Frau Lamm fegt die Treppe und unterhält sich lautstark mit Herrn Flasch über die Schlagzeilen seiner Bildzeitung. Herr Flasch sitzt in Shorts auf einem Klappstuhl auf der Dachterrasse gegenüber. Weil er keine Unterhose trägt kann ich seine Eier sehen. Herr Flasch war mal Preisboxer. Und dann Bierfahrer beim HB. Jetzt ist er fast taub und darum muss die Lamm ihn immer anbrüllen bis ich wach werde.

Meine Bude hat bestimmt schon 40° grad. Eiweiss gerinnt bei 42°. Zeit in Bewegung zu kommen.

Ich schau aus dem Fenster nach unten. Bruno hat sich im Hof einen Sonnenschirm aufgestellt und sitzt schon draussen. Kaffee, Kippe, Anatomieatlas. Er studiert Medizin und sein starker Magen kann bereits zum Frühstück die Bilder grotesker Verwachsungen und fleischiger Extraktionen aushalten.

Ich liege noch im Bett in der kleinen Hinterhauswohnung mit Klo auf dem Gang. Gestern habe ich bis 23Uhr im Wasserwerk Teller gespült. Das allein wäre natürlich kein Grund jetzt noch zu pennen. Dass ich danach noch im Ultraschall war schon eher. Neben meinem Bett erhebt sich ein Berg aus Keyboards und irgendwo mittendrin ein Atari. Alles ist immer an falls ich grade Musik machen will. Aber meistens mache ich nur ein paar Minuten Lärm, lasse ein Tape mitlaufen und treffe mich dann mit Leuten. Alles verändert sich.

Viele Leute ziehen weg zum Studium. Ich hab noch nicht mal Abitur.
Pärchen suchen gemeinsame Wohnungen. Ich hab noch nicht mal eine Freundin.

Egal. Bevor mich das Selbstmitleid überkommt mache ich mir in der Küche einen Instantkaffee und steige unter die Dusche. Eine Dusche in der Küche hat schon Vorteile denke ich als ich das erfrischende Wasser über meinen Nacken laufen lassen und dabei meinen Kaffee schlürfe.

Heute wollte ich Matzi die neuen Flyer in die Hand drücken. Und den Rest des Tages hab ich frei.


Matzi und ich sitzen im Schneidersitz auf dem Boden in seinem Kinderzimmer in Denning. Die Tür zum Reihenhaus-Balkon steht offen und die Sonne knallt auf den beigen Teppich und löst die letzten Weichmacher aus dem Teppichklebstoff die seit den 70ern auf diesen Moment gewartet haben.

Mit nikotingelben Fingern begutatchtet Matzi die Flyer die mein Stiefdad in der Arbeit ausgedruckt hat. Ich streichel seine Katze.

Matzi hat ein kantiges Gesicht das einem Superhelden gehören könnte, wenn er nicht zu schmächtig dafür wäre. Die Haare sind kurz und struppig. Er wirkt immer etwas nachdenklich und auch jetzt wo er da so sitzt in seinem blauen Kapuzenpulli und der zerrissenen Jeans macht er den Eindruck, dass seine Gedanken um etwas anderes Kreisen als die Auswahl von guten Locations für unsere nächste Party. Wir sind dabei mit dem Instant Project einen Rave zu organisieren. Wir schauen uns die Polaroids an die wir gemacht haben. Es soll ja nicht wieder so enden wie beim letzten mal, als die Cops mit dem Suchhelikopter unsere Party in Neuperlach Süd aufgelöst haben.

Auf Matzis C=64 flimmert ein Demo und die SID-Sounds bilden den Soundtrack dieses Nachmittags. Alles ist irgendwie aufgekratzt. Alles ist irgendwie Techno. Für uns ist die Chance unsere eigenen Tracks aufzunehmen und dann auf unseren eigenen Parties zu hören die logische Fortsetzung von Punk und unseren Isarparties.

Wir sind natürlich voll Underground! Wir gegen den Mainstream. Wie immer halt. Hauptsache wir haben’s schwer.

Matzi hat ein paar 1210er und legt ganz passabel auf. Der Technikkrempel auf meinem Schreibtisch für den ich mich beim Mayr verschuldet habe qualifiziert mich als Liveact.

Die nächsten Tage fetzen wir durch unsere Stammkneipen, die Second-Hand und Plattenläden und dann hoffen wir, dass jemand kommt. Meistens kommt niemand.

Diesmal haben wir ein Abrisshaus in der Gabelsberger entdeckt. Wir steigen ein und bauen unseren Kram auf. Der Flotschi steht an der Tür und kassiert mit ernster Mine Eintritt.

Matzi steht an den Plattentellern und wärmt mit ein bisserl Acid den Raum an. Auf dem anderen Plattenteller dreht sich sein Augustiner mit 28rpm.

Wir habe nicht viel Licht und der Keller ist nicht sonderlich groß. Das Bier kostet 1Mark und der Eintritt 5Mark.

Gegen 21Uhr ist der Raum berstend voll. Unsere erste Party wo Leute kommen. Matzi und ich sind euphorisiert.

Gegen 23Uhr ist das ganze Haus voll. Die ersten klettern auf’s Dach. Das Ding droht aus dem Ruder zu laufen.

Irgendwann nach meinem Liveact brülle ich in dem Chaos ein paar Mädls an ob sie wüssten was hier abgeht. Die eine steckt mir ihre lange, kalte Nase ins Ohr und sagt: “Voll cool, dass Ihr das hier macht. Das TU-Sommerfest gegenüber ist total langweilig.”