Journaille

Die Familienvans dösen wie moderne Dornröschen auf dem glühenden Asphalt. Der unheimliche Sommer hat irgendwann begonnen und hält seit vielen Jahren an. Die Gartenstadt duftet ohrenbetäubend nach Rosen. Alles ist wie mit Honig übergossen, erstarrt in der Utopie der Häuslebauer. Die, vor Urzeiten in denen es noch Kriege gab, auszogen und eine neue Existenz erzwangen, mit ihren Händen und dem besessenen Willen die Erinnerung im Fundament zu verscharren. Die Erben wurden verzogen mit Butter, Schweinespeck und Bezinkutsche. Voll aber nicht erfüllt, auf der Suche nach sich selbst aber nicht selbstlos blicken sie ängstlich, neidisch in die Vorgärten der Nachbarn. Hinter ihrem Rücken schlüpfen ihre Kinder durch’s Gartentor und wachsen einfach so, ganz von allein auf…

Aus dem kleinen Haus an der Ecke hört man laute Stimmen. In Felix´ Zimmer duftet es nicht nach Rosen. Hier regiert der Rauch der den Redakteuren der “Schrottpresse” die Tränen in die Augen treibt.

Die Konfrontation spitzt sich zu. Kasha zieht den letzten Rest aus ihrer Zigarette. Ich liebe es wie sich ihr linkes Auge bei jedem Zug zur Glut hin eindreht. Ein Tick den ich nur bei ihr beobachtet habe. Niemanden sonst kenne ich so auswendig. Sie drückt die Kippe aus und setzt zur nächsten Attacke an.

Ich habe einen Essay zum Erhalt der Vinyl-LP in Münchens Plattenläden verfasst. Kasha hat einen Beitrag zum Erhalt des Regenwaldes in Guatemala. Wir kämpfen verbissen um die letzte Halbseite in der nächsten Ausgabe der Schülerzeitung. Bei beiden Themen drängt die Zeit. Von unserer Arbeit hängt die Zukunft des Planeten ab.

Hannes sitzt auf Felix´ Bett und zeichnet gedankenverloren einen Cartoon der noch vor Erscheinen vom Direx zensiert werden wird. Etwas mit Sperma und einer Ampel. Felix versucht die Handschrift der Redakteure zu entziffern und überträgt die anderen Artikel schon mal in den Atari ST. Möne spielt mit Ihrer Ratte. Alle wären jetzt gerne an einem anderen Ort. Nur ich nicht. Mich mit Kasha zu streiten ist für mich wie die Luft zum Atmen. Wir sind wie Hunde die sich balgen. Die halbe Seite ist mir egal. Wenn ich am Ende ihre Zähne an meiner Kehle spüre und ich mich, mich ergebend auf den Rücken rolle, ist es der Beweis, dass wir aus dem gleichen Holz geschnitzt sind.

Meine Füsse sind eingeschlafen. Ich quittiere die Aufforderung meines Körpers nach Bewegung mit dem Drehen einer neuen Kippe. Ich blase den Rauch durch die Nase. Felix´ Wüstenspringmaus atmet flach auf dem Boden ihres Käfigs. Warum macht denn keiner ein Fenster auf? Möne sieht die Klassenfotos durch, schreibt die Namen drunter und sortiert.

Pete wendet ein, dass beide Artikel sowieso nicht vorgesehen waren, die halbe Seite doch ohnehin nur frei wäre weil die Anzeigenvertreter sonst nichts gebracht hätten, und würden sie vielleicht noch eine Anzeige auftun, der Blick geht an Hannes und mich, wir bekleiden auch dieses Amt in Doppelfunktion, so wäre es der finanziellen Lage der “Schrottpresse” nicht zu Schaden.

Kasha, Hannes und mir platzt die Hutschnur. Gemeinsam stürzen wir uns auf den Editor. Es wäre ja wohl das Letzte den Profit der Schülerzeitung über die Bedürfnisse der Ureinwohner Guatemalas und die Zukunft der westlichen Audiophilie zu stellen. Ausserdem hätten wir jede Fahrschule und Bäckerei in Ramersdorf abgeklappert um Anzeigen zu finden aber die allgemeine wirtschaftliche Lage…es wird ein langer Tag werden.

Felix schneidet derweil die ersten Bahnen und klebt sie auf. Übermorgen ist Abgabe bei der Druckerei.

Einige Tage später verkaufen wir unsere Zeitung im Pausenhof. Ich hole mir zwischendrin eine Brezn am Pausenstand. Sie kostet 20 Pfenning. Das ist Wucher. Ich werde einen Artikel darüber schreiben und zum Boykott des Hausmeisters aufrufen. Ich komme zurück und frage Möne wie der Verkauf läuft. Sie reissen uns die “Schrottpresse” aus den Händen. Jede Ausgabe mit den Klassenfotos ist ein Kracher. Niemand liest unsere Beiträge…