Uase

Die ganze Clique hat Hausarrest. Wir sitzen in unseren Zimmern und starren die Wände an. Ich höre Dead Kennedys. Keine Ahnung wie das Ganze so aus dem Ruder laufen konnte. Es begann als Party in den Osterferien. Nadjas Eltern waren weggefahren und sie hatte sturmfrei. Es war ein netter Abend und wir übernachteten bei Ihr. Am nächsten morgen feierten wir weiter. Als wir Bierholen gingen sagten wir noch anderen Freunden Bescheid. Ein guter Punkt aufzuhören wäre gewesen als wir am dritten Tag Leute trafen die keiner von uns kannte.

Aber wir feierten weiter. Wir hätten spätestens stoppen sollen als Bruno den Holzteller über Nadjas Kopf zerschmetterte. Das vollverspiegelte Schlafzimmer der Eltern war längst an die Pärchen als Spielwiese vergeben, ich schlief auf der Couch oder auf dem Boden. Je nachdem wo es mich an den jeweiligen Abenden zerlegte. Die Party zog die Junkies an wie Scheisse die Fliegen. Sie sassen mit ihren leeren Blicken in der Küche und man musste aufpassen, dass sie einem nicht die Kohle oder das Dope klauten. In heavy Rotation war das “Sisters live in Amsterdam” Bootleg. Warum ich jetzt nicht nachhause ging kann ich nicht mehr sagen. Auch als die Nachbarn und dann immer öfter die Bullen vor der Tür standen blieb ich.

Irgendwann sperrte ich mich mit dem Telefon im Klo ein. Irgendwann weiss ich nur noch, dass ich aus dem Klo wahllos Nummern anrief während die anderen ein Fanta 4 Special auf VIVA schauten. Als den Leuten auffiel, dass ich das Klo blockierte versuchten sie die Tür aufzubrechen. Ich telefonierte mit Roschnis Vater und erzählte ihm dass seine Tochter tot wäre. Ich hasste die ganze Welt. Die Drogen. Die Leute die ich liebte und die mir die Liebe nicht gaben die mir zustand. Jedenfalls nicht so wie ich sie haben wollte. Verdammt! Ich hasste die Spiesser und spürte wie ich mehr und mehr einer von ihnen wurde. Ich hasste meine Eltern weil sie mich im Stich gelassen hatten und zur Strafe ließ ich jetzt sie im Stich. Ich war am Tiefpunkt. Zehn Tage zu wenig Schlaf, mein Gehirn eine gallertartige Masse. Hin und hergerissen zwischen Habenwollen und Zuvielhaben. Sie brachen die Tür auf. Sie überwältigten mich und ich wehrte mich wie von Sinnen. Keine Ahnung warum. Widerstand als Daseinsbeweis.

Ich kotzte in die Kristallschüssel, so lange bis ich in Klamotten auf dem Boden zusammenbrach.
Am nächsten morgen weckt mich einer von den H-Freaks. “Ey, bist Du der Janietz? Ich glaub Deine Ma steht draussen.”

Ich war erlöst. Ich konnte das Fest verlassen. Ich trottete in den Nieselregen und stieg ins Auto meiner Mutter. Wir hatten uns nichts zu sagen. Auch den Hausarrest bekam ich erst nachdem die Briefe von den Anwälten kamen. Lange Listen mit Gestohlenem und Zerstörtem. Manches kam mir vage bekannt vor. Aber wir hielten dicht. Und dann hieß es: Zimmer. Keine Freunde. Keine Party.

Ich höre “No Fun” von den Stooges. Danach lege ich mich ins Bett und lese den Hitchhiker.
Es rasselt am Fenster. Ich lese weiter. Es rasselt wieder. Jemand schmeisst Sand an die Scheibe. “Pssstt”. Ich schaue auf den Radiowecker. Die Anzeige zeigt 23:11. Ich rolle mein Rollo hoch und schau runter zum Hof. Da steht der Bruno in seiner blauen Seemannsjacke und winkt. Ich werfe mir was über und sneake auf den Gang. Meine Mom schläft. Ich schleiche die Treppe hinab und schlüpfe durch die Tür. Vor der Tür stehen meine Docks die ich mir unter den Arm klemme und ich bin raus…

Draussen fetzen Bruno und ich durch den Hof zur Strasse hin und erst hier wage ich es meine Schuhe anzuziehen. Ich keuche: “Was machst Du denn hier? Ich dachte Du hast auch Hausarrest?” Er zuckt mit den Achseln und zündet sich eine Kippe an. “Ja schon, aber heute ist doch Uase.” Es nieselt immernoch. Wir laufen trotzdem zu Fuss bis nach Schwabing. Die kühle Frühlingsluft tut uns gut.

Die Uase ist ein Jugendtreff in der Ungererstrasse. Er ist winzig und einmal im Monat ist “Teestuben-Party”. Wir kommen an als das Fest schon in vollem Gang ist. Eintritt müssen wir nicht mehr zahlen. Der Kellerraum wo der Lärm herkommt ist mit weinroten Fliesen gekachelt und ich werfe meine schwarze Lederjacke auf den Haufen mit den anderen schwarzen Lederjacken. “Individuality is dying in equality” schießt es mir durch den Kopf. Eine Zeile aus Haschis Stickfish-Song “Cockroach”.

Alle trinken süßen, starken, billigen Mist aus Plastikbechern. Der Boden klebt und ist so glitschig, dass man ständig beim Tanzen in die Kippen fällt die da rumliegen. Die Musik ist zu laut für die schlechten Jugendzentrums-Boxen und obendrein 50s to 90s.

Aber die Mädls…alles was süß ist in Schwabing hängt heute Nacht hier rum. Ich drücke mir auf dem Scheisshaus ein paar Katos in meine wunde Nase und stürze mich ins Getümmel. Als ich zurückkomme habe ich keine Ahnung wo der Bruno ist, aber ich glaub ich hab die kleine Nadja in einer Ecke gesehen. Egal, “It’s raining men, Halleluja!”